30 Jahre Akki: Jubiläumsgrußwort von Uwe Schulz
Im Rahmen der offiziellen Jubiläumsfeier am 29.06.2015 im Akki-Haus, Düsseldorf, eröffnete Uwe Schulz, Referatsleiter kulturelle Bildung im Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW, die diesjährige "Düsseldörfchen - Republik der Kinder" mit folgendem Grußwort:
"Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich nehme an, die Langspielplatte des Mannes, der nicht tanzen und nicht singen kann, war Ende der 80er Jahre schon längst im Plattenregal verschwunden, um in der Rille Staub anzusetzen, als im letzten westdeutschen Sommer 1989 das erste Düsseldörfchen seine Tore öffnete. Aus meinen Gehörgängen war die Rille zu der Zeit noch nicht wieder raus. Sie hatte keinen Sprung, sondern hieß Sprünge. Wenn man sich, so wie ich im Vorfeld dieser Begrüßung heute, Material zum Düsseldörfchen über die Jahre ansieht, stellt sich die Frage, was der Nummer 1-Charthit aus dem Jahr 1986 des Mannes, der nicht tanzen und nicht singen kann, eigentlich mit dem Düsseldörfchen zu tun hat? Wenn ich jetzt mal zu Herrn Honig rüberschaue, liege ich wahrscheinlich richtig mit der Antwort: „Gar nichts!“ Und das überrascht auch gar nicht, weil er in seinem Vorgängeralbum mit dem schönen Titel 4630 Bochum die für die hier Anwesenden vermessene Frage gestellt hatte: „Wer wohnt schon in Düsseldorf?“. Davon abgesehen: Es gäbe da auch gewisse inhaltliche Differenzen.
Im Düsseldörfchen wohnen jedes Jahr mittlerweile weit über 300 Bürgerinnen und Bürger für volle drei Wochen Aktion und Kultur mit Kindern und Jugendlichen. Erdbeereis auf Lebenszeit, von Grönemeyer in Aussicht gestellt, wäre dort wohl keines der Wahlversprechen, mit denen eine Bürgermeister- oder Präsidentinnenwahl zu gewinnen wäre. Die Düsseldörfchener und –chenerinnen lassen sich nicht so leicht betuppen, wie’s aussieht: Das mündige Wahlvolk will ab Tag 3 wissen, in welcher Höhe der kommende Regent(in) Steuern erhebt und was es dafür zurückgibt. Sie berechnen also sehr wohl, was sie tun. Vielleicht lieben auch sie ein bisschen das Chaos, aber statt abzuräumen, krempeln sie die Ärmel hoch und bauen auf oder investieren. Durchaus beeindruckend.
Und auch das Akki wollte und will mehr mit dem Düsseldörfchen – und die Kinder dabei wert- und nicht unterschätzen. Damals war die Zeit reif dafür – für eine Stadt der Kinder. Dem Akki gebührt der Verdienst, hier in Aktion getreten zu sein und landauf, landab ein Vorbild geschaffen zu haben. Die Zeit war fachlich reif, und das gilt bis heute: Das Düsseldörfchen lädt Acht- bis 14jährige ein, sich handlungs- und aktionsorientiert mit dem eigenen Leben und dem Leben der Stadt und dem Leben in der Stadt auseinanderzusetzen.
Dies geschieht im Projektformat auf vielfältigste Weisen und mit unterschiedlichsten, v.a. kulturpädagogischen Methoden, die von der Offenheit für die Interessen und Schwerpunkte der Kinder geleitet sind – sowie, und das erscheint mir besonders wichtig – auch das Prinzip der Freiwilligkeit ernstnehmen. Das Düsseldörfchen verbindet für die Kinder spielerisch Produktion und Performance. Es ist für Jüngere und Ältere ein Eldorado fürs voneinander und miteinander Lernen, fürs Entscheiden, Umentscheiden, Ausprobieren, Selbstorganisieren, Irritieren und ganz bestimmt nicht zuletzt: Spaß haben.
So wie alle, die ein Haus bauen wollen im Düsseldörfchen, erst mal ganz schlicht das nötige Geld verdienen und einen Werkzeugführerschein machen müssen, hat, wer diese Stadt oder Republik er- und durchlebt hat, einen erstklassigen (Wirtschafts)-Bürgerführerschein erworben. Wer hier lernt, lernt im besten Sinne für sein oder ihr Leben. Dabei erfindet sich das Düsseldörfchen in jedem Jahr wieder neu. Und auch seine Bürgerinnen und Bürger treffen immer wieder frisch ein. Die „Republik der Kinder“ beginnt mit einer Grundordnung, aber mehr auch nicht. Wie sich das Gemeinwesen darüber hinaus organisiert, wird zur Aushandlungssache. Diese Ausgangskonstellation birgt viel Spannung und den großen Vorteil, dass sich niemand berufen kann auf ein „et is noch immer jot jejange“ und schon gar nicht auf das realpolitisch oft hochtoxische „Das haben wir schon immer so gemacht!“.
Als dreiwöchiges (!) außerschulisches Projekt der kulturellen Kinder- und Jugendarbeit, in dem es um Anregungen zur Selbstbildung von Kindern und Jugendlichen geht, ist das Düsseldörfchen aus Sicht der Landesregierung darum sehr gut aufgestellt. Die Zeit, es zu starten, war auch darum reif, weil es dem allgemeinen gesellschaftlichen Klima entsprach: Nach sehr langer Debatte wurde 1990 endlich das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz verabschiedet. Endlich wurden Angebote und Leistungen für Kinder und Jugendliche in den Vordergrund gestellt statt Kontrolle und Eingriff. Was sich veränderte, war der Blick, mit dem die Gesellschaft auf Kinder und Jugendliche sieht. Nicht von ungefähr wurden in den Jahren danach – in einer ersten Welle - in etlichen NRW-Kommunen Kinder- und Jugendräte oder -parlamente eingerichtet, von denen auch Düsseldorf eines hat. Es wäre interessant mal nachzuhören, ob die Mitglieder des Jugendrats Düsseldorfs eigentlich eine Geschichte mit dem Düsseldörfchen haben?
Meine Damen und Herren,
als Anfang Mai 1980 etwa 1.000 ständige Besetzer zwischen den Dörfern Gorleben und Trebel die Republik Freies Wendland ausriefen, um für 33 Tage ihr Gemeinschaftsleben auf basisdemokratischer Grundlage zu organisieren, sprach ein Vertreter der damaligen niedersächsischen Landesregierung in Zusammenhang mit der Ausrufung von „Hochverrat“. Ich gebe zu, der Vergleich hinkt, aber dennoch sind wir heute viele Schritte weiter und ich freue mich, dass Sie, Herr Oberbürgermeister Geisel, die Ausrufung der „Republik der Kinder“ im Dorf an der Düssel ganz entspannt mit Ihrer Anwesenheit beehren. Aus vielen guten Gründen. Einer davon ist sicher auch, dass die Stadt Düsseldorf großzügiger Förderer des Düsseldörfchens ist. Wie in der Stadt Düsseldorf ist es auch auf Landesebene ein wichtiges politisches Ziel, jungen Menschen mehr Gelegenheit zu geben, sich einzumischen, mitzubestimmen und an der Gestaltung ihrer Lebenswelt teilhaben. Dies zu fördern, ist eine zentrale Aufgabe der Politik.
Darum sind Rechte von Kindern und Jugendlichen, sich zu beteiligen, in NRW eigens in einem Ausführungsgesetz zum KJHG festgeschrieben. Junge Menschen sind an allen ihre Interessen berührenden Planungen, Entscheidungen und Maßnahmen angemessen zu beteiligen, z.B. mit Blick auf das Wohnumfeld, den Verkehr und die öffentliche Einrichtungen – aber auch darüber hinaus. Auch wenn das Düsseldörfchen nach drei Wochen wieder die Stadttore schließt, mahnt es diese Beteiligung doch auch an – nach der Beteiligung ist vor der Beteiligung.
Die Kinder und Jugendlichen sind weiter vor Ort und sind mehr denn je daran interessiert, ihr Ding zu machen. Seit dem 1.1.2014 unterstützt die Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung beim LWL-Landesjugendamt in Münster Kinder und Jugendliche konkret dabei, ihre Beteiligungsmöglichkeiten vor Ort in der Kommune, im Stadtteil, im Verband oder der Schule wahrzunehmen bzw. zu verbessern.
Derweil wächst das Düsseldörfchen weiter und vollzieht eine Art Dorfzellteilung. Aufgrund der großen Nachfrage wurden aus dem Dorf im letzten Jahr die Alt- und Neustadt, und in diesem Jahr, wenn ich es recht sehe, eine Innenstadt und eine Kunstsiedlung. Das ist auch ein Kompliment an das Akki, das es schafft, dieses Format immer weiterzuentwickeln und als Projekt für Kinder und Jugendliche attraktiv zu machen. Wenn das so weitergeht, wird das Düsseldörfchen sich per Bürgerbeschluss vielleicht mal umbenennen und dabei die Anregung des niederländischen Liedermachers und Clowns Herman van Veen aufgreifen. Der fragte, auch das in den 80ern, das Düsseldorfer Publikum, als es nicht an der „richtigen“ Stelle klatschen wollte: „Düsselstadt, was ist mit Ihnen los?“
Mein Fazit, vor allem über die Stadtgrenzen hinweg, lautet darum: Schafft ein, zwei, viele Düsseldörfchen! Lasst die Mädchen und Jungen mit ran. Dieser Ruf ist bundesweit schon vernommen worden, aber da ist kein Ende erreicht. In Anlehnung an die Republik Freies Wendland könnte ich auch sagen: Düsseldörfchen ist überall. Oder sollte überall sein! Was dort gelernt und geleistet und gespielt wird, an Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen von Statten geht, überträgt sich, so meine optimistische Sicht, mit den Kindern und Jugendlichen in ihre Lebenswelt, ihre Bildungsinteressen, in die Schulen, die Vereine, die Jugendarbeit und das Kinder- und Jugendgremium vor Ort.
Überall dort werden die Düsseldörfchener und –chenerinnen zu Düsseldorfern und Düsseldorferinnen und vertreten auf Ebene der Stadtgesellschaft ihre eigenen, aber auch die Interessen der Kinder und Jugendlichen der Stadt.
Ich wünsche der Republik der Kinder einen erfolgreichen, sonnigen Verlauf und bedanke mich für die Aufmerksamkeit!"